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Kurzarbeit in Bulgarien in der COVID 19 Krise? Formen der Reorganisation der Arbeit für die Dauer des Notstandes und danach

Eine gesetzliche Regelung der Kurzarbeit, so wie sie aus Deutschland her bekannt ist, in dem Sinne, dass der Staat über die Arbeitsagentur einen wesentlichen Teil der Arbeitnehmervergütung für einen gewissen, vom Unternehmen bestimmten Zeitraum dem Arbeitgeber erstattet, gab es Bulgarien bisher nicht.

Ausgelöst durch die COVID 19 Pandemie wurden neue Regelungen durch das neue Notstandsgesetz, das „Gesetz über die Maßnahmen und Handlungen für die Dauer des verkündeten Ausnahmezustandes“ (im Folgenden: Notstandsgesetz Covid 19) im Arbeits- und Sozialversicherungsrecht verabschiedet, die seit dem 13.03.2020 in Kraft getreten sind. Der Ausnahmezustand soll zunächst bis zum 13. April 2020 andauern.

Die Arbeitgeber haben folgende rechtliche Möglichkeiten, den Arbeitsprozess während des Ausnahmezustandes COVID 19 nach der gesetzlichen Lage vom Stand Ende März 2020 zu reorganisieren.

I. Home-Office/Heimarbeit

Wenn möglich, sollen die Arbeitnehmer von zu Hause aus arbeiten, sog. Home- Office, wenn die Art der Arbeit dies zulässt.

Mit Art. 107b – 107k Arbeitsgesetzbuch gab es eine unvollkommene Regelung der Heimarbeit und der Fernarbeit (worunter auch Home-Office subsumiert wird). Vor den neuen Änderungen konnte die Option „Home-Office“ von dem Arbeitgeber nur umgesetzt werden, wenn diese im Arbeitsvertrag vorgesehen ist, d.h. die Zustimmung von Arbeitnehmer und Arbeitsgeber vorliegt.

Mit dem neuen Art. 120b des bulgarischen Arbeitsgesetzbuches hat der Arbeitgeber das Recht, für die Dauer des Ausnahmezustandes, vorübergehend mit einem einseitigen Beschluss, also ohne Zustimmung des Arbeitnehmers, die Arbeitsform „Home-Office“ einzuführen. Die Wahl der Arbeitsform „Home-Office“ muss nicht unbedingt vorher im Arbeitsvertrag vereinbart worden sein.

So lautet die Vorschrift Art. 7. Notstandsgesetz Covid 19:

Art. 7. (1) Die Arbeitgeber und die Einstellungsorgane können, in Abhängigkeit von dem spezifischen Charakter der Arbeit und die Möglichkeit, deren Sicherheit zu garantieren, für die Arbeitnehmer und Angestellten Heimarbeit oder Fernarbeit (Anm. Übers.: sog. Home-Office), auch ohne ihre Zustimmung einführen, außer wenn dies nicht möglich ist. Die Bedingungen und das Verfahren der Einführung, Erfüllung und Kontrolle werden mit Beschluss des Arbeitgebers oder des Einstellungsorgans bestimmt.

Und

“Einführung von Heimarbeit oder Fernarbeit (Anm. Übers. Home- Office) bei verkündetem Ausnahmezustand“:

Art. 120b. (1) Der Arbeitgeber kann bei verkündetem Ausnahmezustand dem Arbeitnehmer oder Bediensteten ohne seine Zustimmung anordnen, zeitlich begrenzt Heimarbeit und/ oder Fernarbeit auszuführen. In diesem Fall ändert sich der Arbeitsort, ohne dass sich die anderen Bedingungen des Arbeitsvertrages verändern.

(2) Die Änderung nach Abs. 1 wird mit Beschluss des Arbeitgebers umgesetzt, in dem die Bedingungen des Art. 107v, Abs. 2 *(Anm. Übers: Inhalt des Vertrages für Heimarbeit) und/ oder Art. 107i, Abs. 2* (Anm. Übers. :techn. Arbeitseinrichtung bei Fernarbeit) bestimmt werden.

II. Gleitzeit

Eine andere Alternative der Reorganisation wäre die Einführung von Gleitarbeitszeit wobei z.B. ein Teil der Arbeitnehmer z.B. vormittags im Büro erscheinen und der andere Teil – nachmittags (vgl. Art. 139 Arbeitsgesetzbuch-Verteilung der Arbeitszeit).

Diese Option der Organisation muss aber im Voraus in der internen Arbeitsordnung des Unternehmens vorgesehen worden sein (Art.139, Abs.1).

Es gibt auch eine Sonderanordnung des Gesundheitsministeriums, dass nicht mehr als zwei über 60 Jahre alte Angestellte sich nicht in einem Raum aufhalten dürfen.

III. Reduzierung der Arbeitszeit

Der Arbeitgeber kann auch eine reduzierte Arbeitszeit einführen.

Dabei kann die übliche Dauer des Arbeitstages von 8 auf 6 oder mindestens 4 Stunden reduziert werden.

In der Regel kann das sowohl mit beiderseitiger schriftlicher Vereinbarung der Parteien, als auch einseitig vom Arbeitgeber bestimmt werden. Mit Beschluss zur Reduzierung der Arbeitszeit würde aber der Angestellte auch entsprechend weniger Gehalt beziehen.

Im Notstandsgesetz COVID 19 wurden folgende Ergänzungen vorgenommen:

In Artikel 138a (Anm.Übers: Einführung von Teilzeit): ein neuer Absatz 2 geschaffen:

(2) In dem Unternehmen oder in deren Abteilungen kann der Arbeitgeber für die gesamte Dauer des verordneten Ausnahmezustandes oder für einen Teil dieses Zeitraumes eine reduzierte Arbeitszeit der Arbeitnehmer oder Bediensteten beschließen, die ansonsten in Vollzeit beschäftigt sind.

Wenn die reduzierte Arbeitszeit mit beiderseitiger Zustimmung eingeführt wird, sind keine besonderen Voraussetzungen zu beachten und die Änderung kann auch nach dem Ausnahmezustand weiter gültig bleiben.

IV. Stillstand der Unternehmens (престой)

Darunter versteht man generell die Unterbrechung der Arbeit aus technischen oder organisatorischen Gründen, des gesamten oder eines Teils des Unternehmens, die aus Mangel an Bestellungen, Maschinenstörungen, Mangel an Rohstoffen, Energie usw. herrühren kann. Üblicherweise hat in solchen Fällen der Arbeitgeber dаs Recht, dem Arbeitnehmer eine andere Arbeit der Art nach, auch an einem anderen Ort, zuzuweisen. Dieses Recht hat er auch bei Vorliegen von unabwendbaren Ereignissen wie „force majeure“/Höhere Gewalt.

Der Stillstand wird mit einem Beschluss des Unternehmens festgestellt. Wenn der Stillstand länger als 15 Tage andauert, darf der Arbeitgeber ab dem 16-Tag des Stillstandes bei Einhaltung der im Arbeitsvertrag bestimmten Kündigungfristen den Arbeitsvertrag kündigen.

Das Notstandsgesetz Covid 19 führt eine neue Form der Arbeitsunterbrechung ein: die “Einstellung der Arbeit bei verkündetem Ausnahmezustand“- (Kurzarbeit)

Art. 120v. (1) Bei verkündetem Ausnahmezustand kann der Arbeitgeber mit Beschluss die Arbeit in dem Unternehmen, für ein Teil des Unternehmens oder für bestimmte Arbeitnehmer oder Bedienstete für die gesamte Dauer oder teilweise bis zur Aufhebung des Ausnahmezustandes einstellen.

(2) Wenn bei verkündetem Ausnahmezustand die Arbeit des Unternehmens oder ein Teil davon mit Beschluss eines staatlichen Organs eingestellt worden ist, ist der Arbeitgeber für die Dauer des Beschlusses verpflichtet, keine Arbeitnehmer oder Bedienstete zu ihren Arbeitsplätzen zuzulassen.

„Diese Regelung wird nicht als Stillstand des Unternehmens (prestoj) im herkömmlichen Sinne der Vorschriften des Arbeitsgesetzbuches betrachtet, sondern nur als Aussetzung der Arbeiten durch Beschluss des Arbeitgebers oder eines staatlichen Organs. Der Unterschied liegt darin, dass bei einem Betriebsstillstand der Arbeitgeber nach den bisherigen Regeln die Nutzung von bezahltem Urlaub erst ab dem 6-ten Tag des Stillstandes anordnen darf. Mit der neuen Regelung Art 173a darf der Arbeitgeber ab dem ersten Tag der Aussetzung der Arbeiten wegen des Ausnahmezustandes einseitig die Nutzung von bezahltem Urlaub anordnen (in diesem Fall rückwirkend ab dem 13. März).

Zur Unterstützung der Unternehmen seitens des Staates im Kontext der COVID 19 Krise, damit Entlassungen vermieden werden, ist im Sozialversicherungskodex parallel eine Regelung beschlossen worden, die man als erste Kurzarbeitregelung in Bulgarien – vermutlich beinflusst durch die Massnahmen der anderen EU-Staaten – betrachten kann, die besagt:

§ 6. Für die Dauer der Geltung dieses Gesetzes (Anm.: Notstandsgesetz Covid19), jedoch nicht länger als 3 Monate, überweist das Nationale Versicherungsinstitut 60% von dem Umfang des sozialversicherungspflichtigen Einkommens des Monats Januar für Personen, die nach Art. 4, Abs. 1, Punkt 1 des Sozialversicherungskodex von Versicherer (Anm. Übers. :Arbeitgeber) sozialversichert sind, die den durch einen Akt des Ministerrates festgelegten Kriterien entsprechen. Die Mittel werden dem entsprechenden Versicherer innerhalb von 5 Arbeitstagen per Bankweg überwiesen auf der Grundlage schriftlicher Informationen, die der Arbeitsagentur vorzulegen sind.

Der Staat übernimmt somit die Zahlung von 60% der Bruttoarbeitsvergütung. Unabhängig davon, ob der Beschluss für die Einstellung der Arbeit vom Arbeitgeber oder durch ein staatliches Organ ergangen ist, muss der Arbeitgeber den vollen Betrag der Bruttoarbeitsvergütung auszahlen. Das bedeutet, dass er in dieser Periode weiterhin 40% des Bruttolohns an den Arbeitnehmer dazuzahlen muss, obwohl der Arbeitnehmer in dieser Zeit keiner Beschäftigung nachgeht.

Die Kriterien für die Beantragung des „Kurzarbeitergeldes“ wurden durch einen Akt des Ministerrates nach Konsultationen auch mit den Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden am 30.03.2020 bestimmt.

Um Kurzarbeitergeld in Höhe von 60% vom Staat zu erhalten, müssen die Unternehmen einen Einnahmerückgang in Höhe von mindestens 20% für den Monat nachweisen, der dem Monat der Kurzarbeitergeldbeantragung vorangeht, im Vergleich zum selben Monat in 2019.

Die Unternehmen, die erst nach dem 1. März 2019 gegründet wurden, müssen einen Einnahmerückgang von mehr als 20 % im März 2020 im Vergleich zum durchschnittlichen Umsatz für Januar und Februar 2020 nachweisen.

Folgende Unternehmen müssen bei Antragsstellung des 60%ige Kurzarbeitergeld keinen Umsatzrückgang nachweisen:

  • Einzelhändler, jedoch nicht Händler von Lebensmittel, Getränke und Tabak
  • verschiedene Formen des Reisetransports
  • Hotels und ähnliche Orte der Unterbringung
  • Touristische und andere kurzfristige Unterbringung
  • Restaurants und Fastfood-Gaststätten
  • Trinkhallen
  • Kinos
  • Reiseveranstalter und andere Tätigkeiten verbunden mit Reisen und Reservierungen
  • Kunst und Gewerbetätigkeiten
  • andere Tätigkeiten im Bereich der Kultur
  • Sport und andere Tätigkeiten , verbunden mit Freizeit und Erholung
  • Gesundheitszentren/Spa
  • Kleinhändler

Sieben Sektoren erhalten keine Unterstützung. Das ist die Land-und Forstwirtschaft, Fischwirtschaft, Finanz und Versicherungssektor, Verwaltung, Bildung, Gesundheitsvorsorge und Sozialarbeit Produktion von Waren und Dienstleistungen für den Eigenverbrauch Tätigkeiten exterritorialer Organisationen.

Die Informationen über das Verfahren und die Bedingungen werden auf der Internetseite der Arbeitsagentur veröffentlicht. Die Anträge sollen in einer 7-tägigen Frist bearbeitet werden.

V. Urlaub/zwangsweise Beurlaubung

Der neue Art 173a “Nutzung von Urlaub während des verkündeten Ausnahmezustandes“ regelt:

Art. 173a. (1) Wenn aufgrund des verkündeten Ausnahmezustandes mit Beschluss des Arbeitgebers oder mit Beschluss eines staatlichen Organs die Arbeit des Unternehmens, für Teile des Unternehmens oder für bestimmte Arbeitnehmer und Bedienstete eingestellt worden ist, hat der Arbeitgeber das Recht, den gesetzlichen Jahresurlaub des Arbeitnehmers oder Angestellten, auch ohne dessen Zustimmung, einschließlich für einen Arbeitnehmer oder Bediensteten, der noch keine 8-monatige Berufserfahrung erworben hat, anzuordnen.

(2) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die Nutzung des gesetzlichen Jahresurlaubs oder des nicht bezahlten Jahresurlaubs bei verkündetem Ausnahmezustand auf Antrag zu genehmigen:

1. der schwangeren Arbeitnehmerin oder Angestellten, oder eine Arbeitnehmerin oder Angestellten, die sich in einer vorangeschrittenen In-Vitro Behandlung befindet;

2. der Mutter oder Adoptivmutter eines Kindes bis zu 12 Jahren oder eines Kindes mit Behinderungen, unabhängig von seinem Alter;

3. Arbeitnehmer oder Angestellter, der Alleinerziehend ist oder Adoptivvater eines 12-jährigen Kindes oder eines Kindes mit Behinderungen, unabhängig von dessen Alter;

4. Arbeitnehmer oder Angestellter, der noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet hat;

5. Arbeitnehmer oder Angestellter mit beschränkter Erwerbsfähigkeit von 50% bis über 50% ;

6. Arbeitnehmer oder Angestellter mit einem Kündigungsschutz nach Artikel 333, Abs. 1, Pkt. 2 und 3 Arbeitsgesetzbuch.

(3) Die Zeit, für die der Urlaub nach Abs. 1 und 2 genutzt wird, wird als Dienstzeit anerkannt.

Wenn für die Dauer des Ausnahmezustandes mit Beschluss eines staatlichen Organs die Arbeiten im Unternehmen eingestellt werden mussten und der Arbeitgeber die Angestellten aus diesem Grund nicht arbeiten lassen darf, hat der Arbeitgeber das Recht, die Nutzung des bezahlten Jahresurlaubs der Arbeitnehmer für die Dauer der Ausnahmezustandes einseitig anzuordnen. Die Dauer des angeordneten Urlaubs darf die Dauer des Ausnahmezustandes nicht überschreiten. Da objektiv während des Ausnahmezustandes keine Arbeiten im Unternehmen ausgeführt werden können, darf der Arbeitgeber die Nutzung des gesamten Jahresurlaubs anordnen (siehe Art.173a Abs.1 Arbeitsgesetzbuch).

Wenn der bezahlte Jahresurlaub des Mitarbeiters bereits verbraucht wurde, kann der Arbeitgeber nicht für den jeweiligen Arbeitnehmer die Nutzung von unbezahltem Urlaub anordnen.